Ortsgeschichtliche Einordnung

Karnap (urspr.: Carnap) entstand wohl seit dem Ende des 11. Jh. Als Rodung und wurde von freien Bauern besiedelt. Bis in das 19. Jh. Blieb Karnap eine Streusiedlung mit Einzelhöfen. Eine Entwicklungsachse stellte die Landstraße Essen - Horst dar.

Nachdem ein erster Versuch zur Anlage einer Zeche in Karnap durch den Ruhrorter Bergwerksverein 1860/61 gescheitert war, erwarb die Familie Stinnes 1864 die Berechtsame und legte die Zeche Mathias Stinnes an, die 1872 die Förderung aufnahm. Karnap erhielt zusätzliche wirtschaftliche Bedeutung, als 1873 die Emschertalbahn von Gelsenkirchen nach Oberhausen-Osterfeld eröffnet wurde und in Karnap ein Güter- und Personenbahnhof entstand.

1896/97 wurde die Zeche Mathias Stinnes zur Doppelschachtanlage mit Kokerei und Ziegelei ausgebaut. Hierbei war Eigentümer Hugo Stinnes insbesondere darauf bedacht, die Wirtschaftlichkeit der dortigen Förderung von Gasflammkohle durch die Gewinnung von Nebenprodukten bei der Kokserzeugung zu erhöhen (Schwefelsäure, Ammoniak und Teer). Stinnes nutzte die Zeche ferner zur Erprobung von Verfahren zur optimierten Gewinnung und Nutzung von Koksofengas zu Heiz- und Leuchtzwecken und zum Antrieb von Gasmotoren.

Nicht von ungefähr kam es in dieser Zeit zu einem erheblichen Beschäftigtenzuwachs und entsprechendem Bedarf an Siedlungshäusern: Die Einwohnerzahl von Karnap wuchs zwischen 1861 und 1874 von 370 auf 803 Personen, bis 1880 auf 1.502 und bis 1899 auf 4.351 Personen.

1929 wurde Karnap zu Essen eingemeindet. Die Stilllegung der Zeche Mathias Stinnes I/II/V erfolgte 1972.

Baugeschichte und Beschreibung

Der zechennahe, nördliche Teil der Gesamtsiedlung Mathias Stinnes stellt zugleich deren baugeschichtlichen Kern dar. Das im Gegensatz zum später bebauten, südlichen Siedlungsteil spitzwinklig zur Landstraße Essen-Horst bzw. der Eisenbahnlinie stehende Straßennetz mit der Erschließungsstraße Hattramstr. Und den hiervon wiederum rechtwinklig abgehenden Nebenstraßen ergibt sich aus dem Verlauf von Entwässerungsgräben und einem keilförmig auslaufenden Erweiterungsgelände der Bahngesellschaft.

In einem ersten aktenkundigen Bauabschnitt wurden in diesem Teil des Areals in der Bertramstraße und der Straße Spakenbroich 1890/91 insgesamt 26 Arbeiterhäuser für je drei Familien errichtet (Gebäudetypen B, C).

Prägend ist die Art der Anbindung der Ställe hinten an das Haus, indem die Satteldächer einfach verlängert wurden. Es entstanden so die für diese Siedlung besonders charakteristischen, zur Hattramstraße wirkenden Giebelansichten mit ungleichhüftigen Satteldächern. Die Hausgrundrisse sind mit der für diese Zeit typischen Reihenhausbauweise vergleichbar. Durch den für das Bergbaurevier jedoch charakteristischen Verzicht auf lange Hauszeilen (Bergsenkungen?) entstand so eine neue Hausform, die als Vorgriff auf die Gruppenbauweise verstanden werden kann.

Die Bertramstraße ist eine beidseitig mit Siedlungshäusern des Typs B bebaute Straße; die Häuser gleichen denen des Typs C im Spakenbroich, der einzige Unterschied besteht darin, dass den drei traufenseitigen Eingängen an der Rückseite nur zwei Anbauten unter abgeschlepptem Dach zugeordnet sind, d.h. die Wohnungsgrundrisse und die Erschließung der Ställe sind unterschiedlich. Alle Gebäude in beiden Straßen haben kleine Vorgärten und schmale, langgestreckte, rückwärtige Grundstücke.

 

Haustyp B:

Bertramstr. 30/32/34, 36/38/40, 42/44/46, 48/50/52, 54/56/58, 31/33/35, 37/39/41, 43/45/47, 49/51/53, 55/57/59

1890/91, ursprünglich als Arbeiterwohnhaus für jeweils 4/ Familien errichtet, Backsteingebäude, eingeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss, über schmal-rechteckigem Grundriss; drei gleichmäßig aufgereihte traufseitige Eingänge, an der Rückseite zwei Anbauten (ursprünglich Ställe) unter abgeschlepptem Dach; alle Öffnungen stichbogig mit Blendrahmen mit Rechteckquerschnitt; Geschoss- und Traufgesims verkröpft; zusätzliche Eingänge in die Wirtschaftsanbauten

 

Haustyp C:

Spakenbroich 23/25/27, 29/31/33, 35/37/39, 41/43/45, 47/49/51, 53/55/57, 24/26/28, 30/32/34, 36/38/40, 42/44/46, 48/50/52, 60/62/64, 66/68/70

wie Gebäudetyp B, hier jedoch rückseitig drei Anbauten (ursprünglich Ställe) unter abgeschlepptem Dach

 

Wohl noch älter, da im Baugesuch für die Arbeiterhäuser der Typen B/C bereits als Bestand eingetragen, sind die Beamtenhäuser im südöstlichen Teil der Bertramstr. (Gebäudetyp A).

Diese befinden sich in der Bertramstraße südöstlich der Kreuzung mit der Hattramstraße, hier stehen beidseitig der Straße 1-geschossige Backsteinhäuser auf langgestreckt-rechteckigem Grundriss. Teilweise (gerade Hausnummern) sind die Traufseiten verputzt.

 

Haustyp A:

Bertramstr. 14/16, 18/20, 22/24, 26/28, 15/17, 19/21, 23/25, 27/29

vor 1890; als Beamtenwohnhaus für jeweils zwei Familien errichtet, 1-geschossiges Backsteinhaus auf langgestreckt rechteckigem Grundriss, das Dachgeschoss ist ausgebaut, im Sockel liegen die Kellerfenster teilweise frei, stark profiliertes verkröpftes Traufgesims, darunter umlaufendes Geschossgesims mit Rechteckquerschnitt, welches bei den Gebäuden mit geraden Hausnummern (verputzte Traufseiten) offensichtlich abgeschlagen wurde; zwei in der Mitte liegenden Eingänge mit stichbogigem Sturz sind auf einer Seite jeweils 2 Fenster zugeordnet; die Fenster, ursprünglich stichbogig haben heute alle einen begradigten Sturz; rückwärtig sind den Gebäuden ursprünglich kleine mit Satteldach gedeckte, separat liegende Wirtschaftsgebäude zugeordnet; alle Häuser haben Vorgärten, schmale rechteckige Grundstücke an den Rückseiten

 

Eine erste Erweiterung auf dem nördlichen Siedlungsteil erfolgte unter Fortführung der bisherigen Planungsprinzipien um 1899 durch die Errichtung weiterer Wohnhäuser (Haustyp F) am Boshamerweg, ergänzt südlich um 1904 und nördlich um 1905 (jeweils Haustyp E). Die Bebauung des Boshamerwegs erfuhr ihren Abschluss um 1910 (Haustypen D 1 und D 2 in abwechselnder Anordnung) nach Durchstreckung bis zur Boyer Str.

 

Haustyp F:

Boshamerweg 46/48, 50/52, 54/56, 58/60, 62/64, 66/68, 70/72, 74/76, 78/80, 82/84, 86/88, 90/92

um 1900, 1-geschossig mit zwei Eingängen in den äußeren Achsen, zwei Fenster einschließend; traufseitiges Zwerchhaus mit rundbogigem Fenster, alle anderen Öffnungen stichbogig, teilweise mit Blendbögen; rückwärtig eingeschossiger Anbau; jedes Haus mit zwei Wohnungen, die verzahnt angeordnet waren, d.h. zwei Zimmer im EG und einem im OG entsprachen ein Zimmer im EG und zwei im OG

 

Haustyp E:

Hattramstr. 30/Boshamerweg 71, Boshamerweg 73/75, 77/79, 81/83, 85/87

um 1904/1905; 1-geschossiges, traufständiges Backstein-Doppelhaus mit vier Fensterachsen; Pilastergliederung, Eingänge giebelseitig, rückwärtig zwei Anbauten unter Pultdach, zwei Dachgauben; alle Öffnungen stichbogig, teilweise mit Blendrahmen; Zierfries am Giebeldreieck; zu jeder Wohnung gehörten 4 Zimmer

 

 

Haustyp D 1

Boshamerweg 89/91, 97/99, 105/107, 94/96, 102/104, 110/112

Um 1910; 1/2-geschossiges Wohnhaus, traufständig zur Straße liegend, das EG im überwiegenden Teil aus Ziegelmauerwerk, das Halbgeschoss verputzt; das durch starke Telleranker gehaltene Sockelgeschoss lässt die Kellerfenster frei; rückwärtig ein 1-geschossiger Anbau mit Krüppelwalmdach, in den sich zwei Anbauten befinden; das Wohnhaus ist ebenfalls mit einem Krüppelwalmdach gedeckt; straßenseitig ein Zwerchgiebel, in dem hochrechteckige Fenster durch eine gemeinsame Sohlbank zu einem Fensterband zusammengefasst sind, darüber ein liegendes Ovalfenster (zugesetzt)

 

Haustyp D 2

Boshamerweg 93/95, 101/103, 98/100, 106/108

wie Haustyp D 1, jedoch giebelständig zur Straße liegend mit Krüppelwalmdach; rückwärtig ein 1-geschossiger Anbau, in dem sich 2 Eingänge befinden; an beiden Traufseiten Zwerchgiebel; starkes profiliertes und verkröpftes Traufgesims; Fenster mit geradem Sturz

 

Begründung der Denkmaleigenschaft

Der Bergbau gehört zu den Leitsektoren der Industrialisierung in Deutschland. Zugleich führte er als personalintensiver Wirtschaftszweig zur Ansiedlung von Arbeitern, die zum zahlenmäßig größten Teil aus östlichen Teilen des Deutschen Reichs in die Abbaugebiete zogen. Die Errichtung von Siedlungen für die Zugezogenen, zunächst nach pragmatischen, später auch nach städtebaulichen Leitlinien, war mit prägend für die Herausbildung des Ruhrgebietes als spezifischer Industrie- und Siedlungslandschaft.

Erkennt man an, dass die Ausweitung des Bergbaus die Geschichte des Ruhrgebietes und darüber hinaus Deutschlands geprägt hat und dass das Ruhrgebiet zu den bedeutendsten Industriezentren gehört, dann ist die gegebene Anschaulichkeit der strukturellen und siedlungsgeschichtlichen Zusammenhänge entsprechend dem Denkmalschutzgesetz NW (DSchG) von eminenter historischer Bedeutung.

Eine besondere Bedeutung erhielten die Bergwerke des Stinnes-Konzerns seit den 1890er Jahren als Grundlage für die Aktivitäten von Hugo Stinnes (1870-1924) auf dem Gebiet der Kohleverwertung. So war Stinnes 1898 maßgeblich an der Gründung der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG beteiligt, deren Aktienmehrheit er 1892 übernahm.

Dieser Teil der Siedlung Mathias Stinnes in Essen-Karnap dokumentiert in seiner engen Nachbarschaft verschiedener Haustypen in hervorragender Weise die Fortentwicklung des Arbeiterwohnungsbaus vom einfachen Zweckbau in der Tradition des Kötterhauses bis hin zum repräsentativ bürgerlich gestalteten Wohnhaus. Zugleich verweist die Entwicklung dieses älteren Siedlungsteils auf den analog hierzu erfolgten Ausbau der Zechenanlagen.

Für die Entwicklung der Streusiedlung Karnap markiert dieser Siedlungsteil den Beginn der vollständigen Erschließung des bislang extensiv genutzten Gebietes westlich der Landstraße Essen - Horst für industrielle Zwecke, wobei das Gelände nördlich der Bahnlinie den Zechenanlagen, südlich davon dem Siedlungsbau vorbehalten blieb.

Damit ist der beschriebene Teil der Siedlung Mathias Stinnes zeitgeschichtlich, architektonisch und städtebaulich bedeutend. Zugleich ist er ein wichtiges Dokument der Lebensverhältnisse und ebenso bedeutend für die Geschichte des Menschen. Aus den genannten Gründen liegt die Erhaltung und Nutzung des älteren Teils der Siedlung Mathias Stinnes in Essen-Karnap aus wissenschaftlichen und städtebaulichen Gründen im öffentlichen Interesse. Dieser Teil der Siedlung ist im Hinblick auf seine einheitliche Erschließung als erste Fläche für Arbeiterhäuser der Zeche Mathias Stinnes als Mehrheit von baulichen Anlagen i.S.d. § 2 (1, 2) DSchG als ein Baudenkmal zu werten und zu schützen.

 

Verzeichnis der denkmalwerten Gebäude

Gemarkung Karnap

Straße                HNr.                       Flur      Flurstücke

 

Bertramstraße                                  13        241, 242

Bertramstraße     14, 16, 18, 20         13        613, 612, 611, 610

Bertramstraße     15, 17, 19, 21         13        598, 599, 600, 601  

Bertramstraße     22, 24, 26, 28         13        609, 608, 607, 606

Bertramstraße     23, 25, 27, 29         13        602, 603, 604, 605

Bertramstraße     30, 32, 34              13        179

Bertramstraße     31, 33, 35              13        174

Bertramstraße     36, 38, 40              13        180

Bertramstraße     37, 39, 41              13        698, 699

Bertramstraße     42, 44, 46              13        181

Bertramstraße     43, 45, 47              13        176

Bertramstraße     48, 50, 52              13        182

Bertramstraße     49, 51, 53              13        177

Bertramstraße     54, 56, 58              13        183

Bertramstraße     55, 57, 59              13        514

 

Boshamerweg                                 13        233, 234

Boshamerweg     34, 36, 38, 40        13        477, 478

Boshamerweg     42, 44, 46, 48        13        479, 480

Boshamerweg     50, 52                   13        481

Boshamerweg     54, 56, 58, 60        13        97, 98

Boshamerweg     62, 64, 66, 68        13        99, 100

Boshamerweg     70, 72, 74, 76        13        152, 153

Boshamerweg     71, 73, 75              14       18, 17

Boshamerweg     78, 80, 82, 84        13        154, 155

Boshamerweg     77, 79                   14        16

Boshamerweg     82, 84, 86, 88        13        155, 156

Boshamerweg     81, 83, 85, 87        14        15, 14

Boshamerweg     90, 92, 94, 96        13        157, 158

Boshamerweg     89, 91, 93, 95        14        13, 12

Boshamerweg     98, 100, 102, 104   13        159

Boshamerweg     97, 99, 101, 103     14        11, 10

Boshamerweg     102, 104, 106, 108  13       160, 161

Boshamerweg     105, 107                 14       9

Boshamerweg     110, 112                 13       565, 564

 

Hattramstraße                                  13       245 (tlw.)

Hattramstraße    30                          13        18

 

Spakenbroich                                  13        235, 236

Spakenbroich    23, 25, 27               13        778, 779

Spakenbroich    24, 26, 28               13        122

Spakenbroich    29, 31, 33               13        102

Spakenbroich    30, 32, 34               13        123

Spakenbroich    35, 37, 39               13        101

Spakenbroich    36, 38, 40               13        124

Spakenbroich    41, 43, 45               13        163

Spakenbroich    42, 44, 46               13        169

Spakenbroich    47, 49, 51               13        164

Spakenbroich    48, 50, 51               13        170

Spakenbroich    53, 55, 57               13        454

Spakenbroich    60, 62, 64               13        172

Spakenbroich    66, 68, 70               13        515